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Kegel-Übungen: Was Du wissen musst



Hast du trotz fleißigem Beckenbodentraining immer noch Beschwerden?Damit bist du nicht allein.Viele Frauen greifen bei Problemen wie Blasenschwäche oder Schmerzen im Beckenboden reflexartig zu den berühmten Kegel-Übungen – in der Hoffnung, damit alle Probleme zu lösen.Doch so wertvoll dieses Training im Einzelfall sein kann, ein Allheilmittel ist es nicht. 


Hier erfährst du, warum Kegel Übungen kein Allheilmittel für Beckenbodenprobleme sind und warum es eines ganzheitlichen physiotherapeutischen Ansatzes bedarf, der den ganzen Körper einbezieht. 


Wann Kegel-Übungen sinnvoll sein können


Kegel-Übungen – das bewusste Anspannen und Entspannen der Beckenbodenmuskulatur – haben durchaus ihren Platz in der Therapie, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Hier ein kurzer Überblick, wann sie sinnvoll sein können:

  • Nach Schwangerschaft und Geburt: Viele Frauen erleben nach einer vaginalen Geburt ein Dehnungstrauma der Beckenbodenmuskulatur. Das Spektrum reicht von leichten Überdehnungen, die sich innerhalb weniger Wochen selbst regenerieren, bis hin zu schweren Mikrotraumata, bei denen das gesamte Gewebe des Beckenbodens, nicht nur die Muskulatur, stark überdehnt wird. In manchen Fällen kann es sogar zum Abriss von Muskelbündeln am Beckenring kommen (Levator Avulsion). Manche Frauen profitieren in dieser Situation von einem bewussten Anspannen der Beckenbodenmuskulatur, aber nicht alle brauchen es und nicht alle werden davon profitieren.


  • Bei nachgewiesener Muskelschwäche: Wenn eine Fachperson festgestellt hat, dass die Beckenbodenmuskulatur tatsächlich zu schwach ist (z.B. bei leichter Belastungsinkontinenz ohne andere Begleitprobleme), können gezielte Anspannungsübungen sinnvoll sein, um Kraft und Ausdauer der Muskulatur zu steigern.


  • Zur Sensibilisierung der Muskulatur: Kegelübungen können helfen, ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, wo sich der Beckenboden befindet und wie er gezielt angesteuert werden kann. In einigen Fällen hilft es, wenn man eine spezifische Technik erlernen muss, zum Beispiel The Knack* beim Husten.


*The Knack ist eine gezielte Anspannung des Beckenbodens, die unmittelbar vor einer Belastung wie Husten, Niesen oder Heben erfolgt. Durch diese bewusste Aktivierung kann der Druck im Bauchraum besser ausgeglichen und ungewollter Urinverlust vermieden werden. Diese Technik eignet sich besonders für Frauen mit Belastungsinkontinenz, um die Beckenbodenmuskulatur im Alltag funktionell zu nutzen.


Der Beckenboden ist kein isolierter Muskel


Ein häufiger Irrtum ist es, den Beckenboden isoliert vom Rest des Körpers zu betrachten. Tatsächlich arbeitet die Beckenbodenmuskulatur immer mit anderen Strukturen zusammen. Er ist Teil eines Körpersystems: Gemeinsam mit der Bauch- und Rückenmuskulatur sowie dem Zwerchfell stützt er die Körpermitte (Rumpfstabilität) und steht in enger Verbindung mit der Hüft- und Gesäßmuskulatur.


Was bedeutet das konkret? Beim Aufstehen, Niesen oder Heben von schweren Gegenständen muss der Beckenboden reflexartig mit der Bauchmuskulatur und dem Zwerchfell zusammenarbeiten, um den Druck im Bauchraum auszugleichen. Auch die Körperhaltung und eine stabile Hüfte beeinflussen, wie effektiv der Beckenboden mitarbeitet. Ein Training, das nur auf isolierte Kegelübungen setzt, ignoriert diesen wichtigen Zusammenhang.


Der Beckenboden ist ein Teamplayer: Ist ein anderes Mannschaftsmitglied „außer Form“ - zum Beispiel eine schwache Bauchmuskulatur oder eine unzureichend trainierte Unterschenkelmuskulatur - gerät auch der Beckenboden unter Stress. Nicht weil Faszien „verkleben“ oder mystische Muskelketten am Werk sind, sondern weil der Körper als funktionelle Einheit arbeitet. Umgekehrt können dauerhafte Verspannungen - etwa durch eine verkrampfte Körperhaltung oder chronischen Stress - dazu führen, dass der Beckenboden ständig angespannt ist und sich bei Bedarf nicht mehr richtig entspannen und anspannen kann. Und hier ein Gruß an alle Frauen, die es für eine gute Idee halten, den Beckenboden beim Laufen ständig zu „aktivieren“.


Fazit: Der Beckenboden sollte nicht isoliert trainiert oder behandelt werden. Anstatt ihn nur stumpf „anzuspannen“, ist es wichtig, Haltung, Atmung und angrenzende Muskelgruppen mit einzubeziehen. Ein harmonisches Zusammenspiel aller beteiligten Muskeln ist entscheidend, damit der Beckenboden seine Aufgabe im Alltag erfüllen kann.


Warum Beckenbodenuntersuchung oft nicht die wahre Funktion zeigen


Vielleicht hast du schon einmal einen Test zur Beckenbodenfunktion gemacht - z.B. beim Arzt den Beckenboden um einen Finger anspannen lassen oder selbst den „Urin-Stopp-Test“ ausprobiert (bitte nur, wenn du schnell weglaufen musst!). Solche Tests können auf den ersten Blick einen Eindruck vermitteln, sind aber oft nicht sehr aussagekräftig für die tatsächliche Funktion im Alltag.


  • Isolierte Momentaufnahme: Viele Tests prüfen nur, wie stark man sich in diesem Moment anspannen kann. Im Alltag wirken jedoch die Schwerkraft und plötzliche Belastungen (Husten, Springen usw.), die solche Tests nicht berücksichtigen. Eine Frau kann auf der Liege eine gute Kraftmessung haben, aber beim Joggen trotzdem Urin verlieren - weil der Beckenboden im Alltag blitzschnell reagieren muss. Und jeder, der trainiert, weiß, wie unterschiedlich sich Übungen und Belastungen anfühlen können.


  • Verspannung stat Kraft: Oft steht im Vordergrund, wie fest man drücken kann. Ein gesunder Beckenboden braucht aber auch die Fähigkeit, sich vollständig entspannen zu können. Bleiben die Muskeln ständig leicht angespannt (ähnlich einer Faust, die nie ganz loslässt), nützt die beste Kraft nichts - im Gegenteil, es kann zu Schmerzen oder Funktionsstörungen kommen.


  • Die Koordination bleibt auf der Strecke, denn der Beckenboden muss im echten Leben in Millisekunden auf Belastungen reagieren.Welche Eigenschaften testet eine klassische Kegel übung nicht? Keine. Wir spannen zum Beispiel vor dem Husten reflexartig den Beckenboden an, damit kein Urin entweicht. Solche feinen Koordinationen und das Zusammenspiel mit der Bauch- und Atemmuskulatur können einfache Tests nicht erfassen.


  • Es gibt diesen Mythos, dass Frauen ihren Beckenboden nicht spüren und ihn nicht willkürlich anspannen können. Also sollen wir sie schulen, wie es geht. Alle seien angeblich unsensibel und unbewusst in ihrem eigenen Körper. Meine Meinung ist, dass die Beckenbodenmuskulatur nicht ständig im Bewusstsein sein muss.


Ein Wort zum "falschen" Kegeln: Von überall wird erzählt, wie falsch alle kegeln – alle würden nur wild in alle Richtungen pressen und seien selbst schuld am Prolaps. An dieser Stelle muss man sagen: Pressen ist sehr schwierig, weil es kontraintuitiv ist. Wir haben von Anfang an gelernt, alles zurückzuhalten, wenn wir nicht alleine auf der Toilette sind. Vielleicht hat die eine oder andere eine ungünstige Strategie beim Heben, Drücken oder Pressen. Das muss aber individuell geklärt werden – und nicht einfach pauschal auf alle übertragen werden.


Wie sieht ein solcher ganzheitlicher physiotherapeutischer Ansatz praktisch aus?


Gründliche Untersuchung und individueller Plan: Zuerst steht eine ausführliche Bestandsaufnahme. Die Physiotherapie nimmt sich Zeit, deine Beschwerden und deinen Körper ganzheitlich zu analysieren – von der Beckenbodenmuskulatur (Kraft, Spannungszustand, Narben nach Geburten oder OPs) über die Körperhaltung und Beweglichkeit bis hin zur Atmung. Auch Alltagssituationen, in denen Probleme auftreten (z. B. Laufen, Husten, Heben), werden besprochen. Daraus leitet sich ein individueller Behandlungsplan ab, maßgeschneidert für deine Situation – kein Pauschalprogramm.


Nicht nur Muskeln stärken, sondern Balance schaffen: Wo dein Beckenboden zu schwach ist, wird natürlich an der Kräftigung gearbeitet – aber genauso wird darauf geachtet, die Verantwortung vom Beckenboden wegzunehmen, wenn eine andere Ursache für die Symptome vorliegt.


Integration in Alltagsbewegungen und Training: Ein ganzheitlicher Ansatz verbindet den Beckenboden mit alltäglichen Bewegungen und funktionellen Übungen. Ich schaue mir deine Technik an, gemeinsam optimieren wir sie und prüfen, ob wir deine Alltagsbelastung reduzieren können. Wir analysieren, wo du Schwächen hast, die deine Symptome begünstigen, und entwickeln gemeinsam eine Strategie, um das zu verändern. Integration in den Alltag bedeutet nicht, dass du bei jeder Bewegung an deine Haltung, deinen Beckenboden oder deine Beckenposition denken sollst (da hat wohl jemand missverstanden, was "reflektorisch" bedeutet).


Vielfältige Therapiemethoden: Manuelle Therapie, Trainingstherapie, viszerale Therapie, Pessare, Aufklärung sowie emotionale Unterstützung und Sicherheit sind mögliche Werkzeuge, die genutzt werden können, um deine Beschwerden zu beseitigen.


Kurzum: Die Physiotherapie betrachtet dich als ganzen Menschen. Beschwerden im Beckenboden werden nicht isoliert abgehandelt, sondern immer im Kontext deiner gesamten körperlichen (und oft auch seelischen) Verfassung gesehen. Dieser umfassende Blick ist notwendig, weil der Beckenboden so viele Funktionen und Nachbarschaften im Körper hat – von der Unterstützung der Organe über die sexuelle Funktion bis zur Stabilisierung des Rumpfes. Kein Wunder also, dass Lösungen von außen (wie eben reine Kegel-Übungen nach Schema F) oft zu kurz greifen.


Fazit

Dein Beckenboden braucht ein Gesamtkonzept statt einer Patentlösung. Kegel-Übungen sind okay, aber sie sind nicht die universelle Lösung für jedes Beckenbodenproblem. Die Beckenbodenmuskulatur soll nicht isoliert betrachtet werden – weder in der Diagnostik noch in der Therapie. Viele herkömmliche Tests zeigen immer nur einen Ausschnitt der tatsächlichen Funktion und können in die Irre führen, wenn man sie allein betrachtet.


Aber es gibt auch gute Nachrichten: Mit einem ganzheitlichen, physiotherapeutischen Ansatz lassen sich nachhaltige Verbesserungen erzielen. Dabei wird der ganze Körper einbezogen, die echte Funktion deines Beckenbodens im Alltag berücksichtigt und das Training individuell auf dich abgestimmt. Für dich als gut informierte, aber sehr beschäftigte Frau bedeutet das vor allem Entlastung: Du musst nicht verzweifeln, wenn die üblichen Übungen nicht sofort helfen. Es gibt Alternativen und ergänzende Wege.


Eine spezialisierte Physiotherapie kann mit dir helfen herauszufinden, was dein Beckenboden wirklich braucht – sei es Kräftigung, Entspannung, bessere Koordination oder alles zusammen – und dir Schritt für Schritt zeigen, wie du deinen Beckenboden ins Gleichgewicht bringst.


Dein Körper ist ein Gesamtsystem. Wenn dieses System im Gleichklang arbeitet, werden sich auch deine Beckenbodenbeschwerden lindern. Kegel-Übungen können ein Teil der Lösung sein, aber die volle Antwort liegt in einem ganzheitlichen Konzept, das dich und deinen Körper in seiner Ganzheit stärkt.


Starte jetzt – stelle deine Gesundheit in den Mittelpunkt, damit du dich stark, schmerzfrei und voller Energie fühlst. Gemeinsam finden wir den richtigen Weg für dich, damit du dich wohlfühlst und deine Lebensqualität steigern kannst – für dich und deine Familie.


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