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Training und Stillen: Zwischen Regeneration, Energiebedarf und Realität.

Aktuelle Empfehlungen zur körperlichen Aktivität nach der Geburt – von hormonellen Veränderungen über Knochendichte bis hin zu praktischen Tipps für einen sicheren Wiedereinstieg.


In den letzten fünf Jahren hat sich die Evidenzlage zur körperlichen Aktivität in der Schwangerschaft und nach der Geburt deutlich verändert. Die neuen Empfehlungen (2025) sprechen sich für eine frühere Rückkehr zur Bewegung aus – und zeigen zahlreiche gesundheitliche Vorteile: von der Vorbeugung von Osteopenie (verminderter Knochendichte) und Sarkopenie (Verlust von Muskelmasse) über die Reduktion des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Bluthochdruck bis hin zur Unterstützung der mentalen Gesundheit und Vorbeugung postpartaler Depressionen.


Ein Baby wird von einer Frau in einem schwarzen Oberteil gestillt, in ruhiger, intimer Atmosphäre. Warmes Licht und neutraler Hintergrund.

Gleichzeitig fällt diese Zeit oft mit der Stillphase zusammen – für viele Frauen eine herausfordernde, sensible und intensive Zeit. Stillen ist nicht immer so einfach, wie es oft dargestellt wird: körperlich, emotional und organisatorisch kann es anstrengend sein.


In diesem Artikel möchte ich einige Mythen rund um Stillen und Training aufräumen, dir zeigen, wie du beides gut kombinieren kannst – und worauf du achten solltest, damit diese Zeit für dich sicher, selbstbestimmt und erfüllend wird.


Veränderungen in der Stillzeit


Nach der Geburt verändert sich der Hormonhaushalt deutlich: Der Östrogenspiegel sinkt stark, während das Hormon Prolaktin, das die Milchbildung steuert, deutlich ansteigt. Diese Kombination führt dazu, dass Kalzium aus den Knochen mobilisiert wird, um den erhöhten Bedarf für die Milchproduktion zu decken. In dieser Phase verliert der Körper spürbar an Knochendichte.


Dieser Verlust ist physiologisch, aber nicht automatisch reversibel. Nach dem Abstillen kann sich die Knochenmasse in den folgenden 6 bis 12 Monaten wieder aufbauen – wenn der Körper genug Energie, Nährstoffe und Bewegung bekommt. Fehlen diese Faktoren, zum Beispiel bei Energiemangel, Diäten oder Bewegungsmangel, kann die Regeneration verzögert oder unvollständig bleiben.


Während des Stillens benötigt der Körper etwa 500–600 Kilokalorien pro Tag zusätzlich für die Milchbildung. Wer trainiert, braucht noch etwas mehr. Eine ausreichende Energie- und Eiweißzufuhr ist daher entscheidend – nicht nur für die Milchproduktion, sondern auch für die Regeneration von Knochen, Muskeln und Sehnen.


Auch der Flüssigkeitsbedarf steigt deutlich: Für die Milchproduktion werden täglich etwa 700–1000 Milliliter Wasser benötigt. Wer stillt und sich bewegt, sollte bewusst auf eine ausreichende Hydration achten, um Stoffwechsel, Kreislauf und Leistungsfähigkeit zu unterstützen.


Warum Training in der Stillzeit so wichtig ist – für dich und dein Baby

Mutter stillt Baby auf einer Yogamatte vor einem grauen Sofa. Helle, sonnige Wohnzimmeratmosphäre, grüne Pflanze im Hintergrund.

Bewegung nach der Geburt hat weit mehr Wirkung als nur „fit werden“. Sie beeinflusst aktiv die Gesundheit der Mutter und die Entwicklung des Kindes – auf Stoffwechsel-, Hormon- und sogar Genebene.


Für dein Baby

Körperliche Aktivität der Mutter während Schwangerschaft und Stillzeit wirkt wie ein epigenetischer Schutz für das Kind. Dadurch kann das Risiko für:

  • Übergewicht (Adipositas),

  • Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes,

  • nicht-alkoholische Fettlebererkrankungen

deutlich gesenkt werden.


Auch die Zusammensetzung der Muttermilch verändert sich positiv: Sie enthält mehr entzündungsregulierende Substanzen und bioaktive Moleküle (z. B. microRNAs, Omega-3-Fettsäuren), die das kindliche Mikrobiom und den Stoffwechsel stärken. Kinder von aktiven Müttern zeigen langfristig ein gesünderes Körperfettverhältnis, bessere Glukosetoleranz und stabileren Energiehaushalt.


Für dich

Regelmäßiges Training in der Stillzeit ist eine zentrale Unterstützung für deine körperliche und mentale Regeneration. Es hilft dir,

  • den Knochenabbau während der Stillzeit zu begrenzen und den Wiederaufbau zu fördern (Osteoporoseprophylaxe),

  • Muskulatur zu erhalten und aufzubauen (Schutz vor Sarkopenie),

  • Schlafqualität und Stressregulation zu verbessern,

  • die Stimmung zu stabilisieren und Symptome postpartaler Depression zu reduzieren,

  • langfristig Übergewicht, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen vorzubeugen.

Bewegung wirkt dabei nicht nur körperlich, sondern auch neurobiologisch: Sie aktiviert körpereigene Glückshormone, verbessert die Durchblutung des Gehirns und unterstützt die Erholung des Nervensystems – besonders wichtig in einer Lebensphase mit Schlafmangel und Dauerbelastung.


Häufige Missverständnisse rund um Stillen und Training

Person hebt Gewichte in einem Fitnessstudio. Sie trägt ein schwarzes Tanktop. Die Atmosphäre wirkt fokussiert und entschlossen.

„Die Milch wird sauer nach dem Training.“

Nach körperlicher Aktivität steigt der Milchsäurespiegel im Blut kurzzeitig an, und ein kleiner Teil davon kann auch in die Muttermilch übergehen. Studien zeigen aber, dass diese Mengen keinen Einfluss auf Geschmack, Zusammensetzung oder Akzeptanz der Milch haben. Lebensmittel wie Knoblauch, Zwiebeln oder Kräuter verändern den Geschmack viel stärker – und auch das ist völlig unbedenklich.


„Stillen macht das Gewebe instabil.“

Während der Stillzeit verändern sich Elastizität und Steifigkeit des Gewebes leicht, weil der Östrogenspiegel niedrig ist. Das bedeutet aber nicht, dass Stillen automatisch zu Instabilität oder Verletzungen führt. Ein höheres Risiko entsteht eher durch Energie- und Schlafmangel, verzögerte Regeneration oder zu schnelle Trainingssteigerung.

Deshalb sollte der Trainingsaufbau nach der Geburt strategisch geplant und schrittweise erfolgen, um Kraft, Koordination und Belastbarkeit wiederherzustellen.


„Training verringert die Milchmenge.“

Die Milchbildung wird hauptsächlich durch das Hormon Prolaktin gesteuert. Es wird durch den Saugreflex und regelmäßiges Entleeren der Brust stimuliert – nicht durch Ruhe oder Inaktivität. Zusätzlich spielt das Hormon Oxytocin eine wichtige Rolle: Es löst den Milchspendereflex aus und reagiert empfindlich auf Stress und Anspannung. Das heißt: Entspannung, Nähe und Hautkontakt fördern die Milchbildung – genauso wie ausreichend Essen und Trinken.


Die Milchproduktion folgt einem einfachen Prinzip: Nachfrage bestimmt das Angebot. Je häufiger und effektiver das Baby trinkt, desto mehr Milch wird gebildet. Bewegung oder Training haben darauf keinen negativen Einfluss, solange Energie- und Flüssigkeitszufuhr stimmen.



Worauf du achten solltest:


Schmerzen – ob in Gelenken, im Becken, an der Narbe oder im Rücken – sind ein Signal, dass dein Körper Unterstützung braucht. Sie zeigen, dass irgendwo zu viel Spannung, Druck oder Belastung entstanden ist.

Eine Physiotherapeut/in mit Spezialisierung auf Schwangerschaft und Rückbildung kann die Ursache beurteilen, Bewegungsabläufe prüfen und dein Training gezielt anpassen.


Wann du pausieren und abklären solltest:


Achte auf folgende Warnzeichen:

  • anhaltende oder zunehmende Schmerzen,

  • Druck- oder Fremdkörpergefühl im Becken,

  • Urinverlust oder Gefühl, den Beckenboden nicht halten zu können,

  • Rötung, Schwellung oder Schmerzen an der Damm- oder Kaiserschnittnarbe,

  • Fieber oder Brustschmerzen,

  • einseitige Beinschmerzen oder Schwellung,

  • starke Erschöpfung oder depressive Stimmung.

Bei diesen Symptomen solltest du das Training unterbrechen und eine ärztliche oder physiotherapeutische Abklärung veranlassen.

Eine Person hält ein Modell eines menschlichen Beckens. Der Hintergrund ist weich beleuchtet. Dominierende Farben sind Weiß und Rot.

Dein Leitfaden für sicheres Training nach der Geburt:

Wenn du nach der Geburt wieder mit dem Laufen beginnst, darf das Training einfach, flexibel und an deinen Alltag angepasst sein. Dein Körper hat sich verändert – das bedeutet nicht, dass du kaputt bist, sondern dass er Zeit und gezielte Reize braucht, um wieder belastbar zu werden.

  • Stille vor dem Training, damit die Brust weicher ist und das Bewegen angenehmer wird.

  • Trage einen gut sitzenden, stützenden Sport-BH, der Halt gibt, aber nicht einschränkt.

  • Kompressions-Leggings oder Shorts können die Durchblutung fördern, Schwellungen reduzieren und das Gefühl von Stabilität im Becken unterstützen.

  • Pessare oder unterstützende Beckenbodenhilfen können in den ersten Monaten hilfreich sein, wenn du ein Druckgefühl spürst oder dich unsicher fühlst – nach physiotherapeutischer Beratung.

  • Trinke ausreichend vor und nach dem Training, um Kreislauf, Regeneration und Milchbildung zu unterstützen.

  • Starte mit kurzen, lockeren Einheiten – zum Beispiel 10–20 Minuten.

  • Steigere langsam: erst die Dauer, dann das Tempo, am Ende die Intensität.

  • Höre auf Körpersignale – Druck im Becken, Undichtigkeit oder Schmerzen sind Zeichen, dass du anpassen solltest.

  • Iss ausreichend, besonders rund um dein Training. Stillen und Laufen erhöhen den Energiebedarf deutlich.

  • Plane Erholung ein – Schlaf, Spaziergänge und aktive Regeneration sind Teil des Trainings.


Trainieren in der Stillzeit bedeutet, wieder in Bewegung zu kommen – mit Respekt für das, was dein Körper geleistet hat, und mit Vertrauen in das, was er wieder aufbauen kann.


Zum Schluss – ein ehrlicher Realitäts-Check

Nahaufnahme eines Babys in beige Kleidung, das auf dem Schoß einer Person in einem weißen, gemusterten Kleid sitzt. Sanfte, ruhige Stimmung.

Die Zeit nach der Geburt und während des Stillens ist intensiv. Vieles verändert sich gleichzeitig – körperlich, emotional und im Alltag. Und die Realität sieht oft ganz anders aus, als man sie sich vorher vorgestellt hat.


Dieser Artikel ist nicht geschrieben, um dir noch eine Aufgabe oder ein weiteres „To-do“ zu geben, an dem du dich messen musst. Er soll eine Hilfestellung sein – für die, die gerade die Kapazität und den Wunsch haben, wieder aktiv zu werden, und dafür Orientierung brauchen.


Wenn es bei dir im Moment nicht klappt, fühl dich bitte nicht schlecht. Mach das, was jetzt gerade für dich möglich ist, und hol dir Unterstützung, wenn du sie brauchst – sei es ein Trainingsplan, physiotherapeutische Begleitung, Stillberatung oder der Rat einer Hebamme.

Setz dich nicht unter Druck und erwarte keine Perfektion. Zehn Minuten Bewegung sind besser als gar keine. Oft fehlt nicht die Motivation, sondern die Zeit, Struktur oder Unterstützung – und das ist völlig normal. Du musst das nicht allein herausfinden.


Stillzeit und Postpartum sind keine idealen Bedingungen für Training – sie sind geprägt von Schlafmangel, Zeitdruck, hormonellen Schwankungen, emotionaler Überforderung und einem Körper, der sich ständig neu anpasst. Niemand schafft in dieser Phase alles „richtig“.

Wenn du dich also erschöpft, unorganisiert, unmotiviert oder einfach leer fühlst – das bedeutet nicht, dass du versagt hast. Es bedeutet, dass du menschlich bist.


Fortschritt in dieser Zeit sieht nicht aus wie Trainingspläne und perfekte Routinen. Oft bedeutet er: duschen, essen, zehn Minuten rausgehen oder eine Nacht halbwegs schlafen. Das ist okay.


Dein Körper hat in den letzten Monaten Außergewöhnliches geleistet. Er verdient Respekt, Geduld und Zuwendung – nicht ständige Bewertung oder Vergleich. Bewegung soll dich nicht zusätzlich fordern, sondern dir helfen, dich wieder zu spüren, Kraft zu tanken und Vertrauen in dich selbst zurückzugewinnen.

Es gibt keinen „richtigen“ Zeitpunkt, um wieder anzufangen – nur den Moment, in dem du spürst, dass du bereit bist, etwas für dich zu tun.


Und egal, wie klein der Schritt ist: Er zählt.

Eine Frau liegt auf einer Yogamatte und hält ein Baby, lächelnd. Große Fenster im Hintergrund, helle Farben, gemütliche Atmosphäre.

 
 
 

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